Türken, Kurden, Graue Wölfe

Politische Diskussionen sind für mich hier aus sprachlichen Gründen eine große Schwierigkeit. Hier und da gelingt es aber doch, über wesentliche Entwicklungen der Türkei mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen.

Unter den Türken ist – wie könnte es anders sein? – eine hohe Zustimmungsrate für die gegenwärtige Vorgehensweise der AKP und für Erdogan persönlich zu verzeichnen (meine “Stichproben” sind natürlich alles andere als repräsentativ, sie spiegeln meinen persönlichen Eindruck wider). Man macht sich oft keine detaillierten Gedanken, aber man hat bezüglich Erdogan ein sehr gutes Gefühl und bekennt sich gern und lautstark zur offiziellen Linie. 

Unter den Kurden ist das naturgemäß anders: Sie sind in ihren Äußerungen oft zurückhaltend, in der Meinung aber entschieden gegen das, was jetzt politisch geschieht. Und: Mir ist mehrfach eine sehr differenzierte Sichtweise begegnet. So bestand etwa ein Mittdreißiger, gut Deutsch sprechend, hier Bauer und in Österreich und Deutschland als Bauarbeiter weit herumgekommen, darauf, dass durch Erdogan und die Gesetzgebung seiner Partei in der ersten Legislaturperiode als Premierminister und auch noch zu Beginn der zweiten viel Gutes in die Wege geleitet worden wäre. Erst in der zweiten Hälfte der zweiten Amtszeit Erdogans als Premierminister sei die Lage gekippt. Das deckt sich gut mit dem, was auch mein Eindruck aus den letzten 14 Jahren ist.

Bislang ist es mir gut gelungen, im wesentlichen zuzuhören, wenn Menschen hier in der Türkei über Politik gesprochen haben. Vorgestern war das aber anders. Da habe ich mich mehrmals zu dezidierten Äußerungen hinreißen lassen… Und das kam so:

Ich war von Gölyazi nach Sultanhani gepilgert. Dort hatte ich, wie das in einer touristisch geprägten Stadt nicht anders zu erwarten gewesen war, keine Privatunterkunft bekommen, sondern musste in eine “Pansiyon” gehen. Dort war ich mit einem jüngeren Paar aus Berlin im Gespräch, Swantje und Lev. Sie haben ihre Wohnung aufgelöst und sind mit dem Allrad-Wohnmobil unterwegs, erst durch Europa, jetzt Richtung Mongolei. Und dann kam der Onkel des Juniorchefs der Pansiyon dazu, und nach einem halben Satz Zuhören ergriff er das Wort. Lautstark machte er Werbung für Erdogan.Und nicht nur das: Er äußerte, in gutem Deutsch und mit dröhnender Stimme, eine ganze Menge Statements und rhetorischer Fragen, die sich auf Deutschland und die Niederlande bezogen: Er fühlte sich als Türke beleidigt und provoziert von dem nicht überall reibungslos verlaufenden Wahlkampf, den türkische Politiker der Regierungsparteien in  Deutschland und den Niederlanden führen. Er stellte grundsätzlich die Frage, wie man denn auf einmal der Türkei die Zustimmung verweigern könne; man sei doch mit ihr befreundet, und einen Freund müsse man doch bedingungslos unterstützen.usw. usf.- Man ahnt es bereits: Als das “Gespräch” begann, sich um die Kurden und um Syrien zu drehen, spitzte sich die Lage zu…

Nachfragen ware überhaupt nur schwer zu platzieren – und fast immer nur zur Hälfte. Dann wurde man (meistens war ich es) unterbrochen. Was dann kam, war Angriff und Verteidigung gleichzeitig und nicht geeignet, ernst genommen zu werden – es ging in aller Regel komplett an dem vorbei, was zuvor gesagt worden war.

Nach der vierten, fünften, sechsten Unterbrechung wurde ich dann mal deutlich. Mit nur sehr mäßigem Erfolg… Irgendwann kam von dem Mittsechziger dann das Bekenntnis, zu den “Grauen Wölfen” zu gehören. Stolz betonte er, die seien noch schlimmer als die AKP.

In der Art der Verweigerung jeder sachlichen Diskussion erinnerte mich dieser Mann stark an die Linksradikalen, die man in den 1970er und 80er Jahren in Westdeutschland treffen konnte und bei denen jeder Versuch eines echten Gesprächs, eines ernsthaften Austauschs in Verzweiflung, Wut oder Resignation münden musste…

Am Schluss fühlte sich der gute Mann noch bemüßigt, zu betonen, dass die Grauen Wölfe derzeit nicht gefährlich seien, sondern die Regierungsparteien unterstützten. Wenn sie aber erst einmal auf die Straße gingen, könne das schnell anders werden!

Ich halte sie auch jetzt schon nicht für ungefährlich.

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