Polizei

Meine erste Übernachtung in Ungarn hat einen Schönheitsfehler, jedenfalls aus Sicht des strebsamen Pilgers:Ich bin nur dreißig Kilometer gewandert, und die daran anschließenden vier Kilometer zur Kirche im Nachbardorf gingen praktisch in die Gegenrichtung, nach Nordwesten (netto blieben also nur 26 oder 27 Kilometer). Das war bei Frost und scharfem Gegenwind doppelt unangenehm… Ich wartete in der Kirche noch fast eine halbe Stunde auf die Messe (der Pfarrer war im Pfarrhaus schon nicht mehr anzutreffen gewesen) und fragte danach, ob er deutsch oder englisch spreche – was er mit einem Kopfschütteln verneinte. Erst, als er das schöne Schreiben meiner Pastorin gelesen hatte, wurde er gelöster, auch, was seine Sprachkenntnisse betrifft…

ImPfarrhaus könne er mich aber nicht unterbringen: Der Radiator täte nicht, es sei viel zu kalt. Er ging mit mir stattdessen schnurstraks zum Nachbarhaus; das sei ein Gasthaus. Da war allerdings alles dunkel. Erst, als wir einige Häuser weiter erfolgreich Einlass begehrt hatten und einiges an Unterhaltung und Telefonieren stattgefunden hatte, wurden wir in dem jetzt erleuchteten Haus willkommen geheißen.

Ich erhielt ein kleines Dachzimmerchen und gute Wünsche für die Nacht. Der Gefahr, als unverschämt zu gelten, trotzend, fragte ich nach einem Stück Brot. Mit durchschlagendem Erfolg: Wenig später saß ich vor einem Teller mit Schmorkohl und Nudeln, dazu eine Kanne Tee mit Zucker und Zitrone.

Am Morgen gabs einen Teller Rührei und zwei kleine “Hörnchenbrötchen”, die man hier im Supermarkt bekommt, und zwei belegte Hörnchen als “Reisebrot”. Danach bin ich noch zum Pfarrer gegangen: Ich wollte mich noch einmal gebührend bedanken, und mir einen Kirchenstempel für meinen Pilgerpass abholen. Der Priester traut mir wohl allerhand zu: “Ich möchte ein Gebet!”, war seine klare Ansage für mich, wenn ich in Jerusalem angekommen bin.

Das Wetter glänzte buchstäblich:mit Sonne, scharfem Frost und einer steifen Brise. Gott sei Dank stimmte die Windrichtung einigermaßen: Als der Weg mich einmal einige Kilometer nach Ost-Nordost führte, war das gleich eine sehr viel unangenehmere Stunde, mit Wind von der linken Seite und ganz leicht von vorn. Ansonsten von links hinten, teilweise so stark, dass ich mich seitlich heftig dagegenlehnen musste.

Meine Beine funktionierten tadellos, und da ich um 18:00 Uhr keine Lust hatte, in der kalten Kirche zu sitzen und mir außerdem der “Schönheitsfehler” vom Vorabend noch als kleiner Ärger im Magen lag, entschied ich mich, nach doch immerhin schon 45 Kilometern, zum Weiterwandern.

Das sollte ich aber noch bereuen: Zunächst strafte mich das Leben für diesen Leichtsinn mit fünf Kilometern Strecke nach Nordosten – mit entsprechendem “Gesichtswind”. Und dann musste ich noch weitere sieben Kilometer durchhalten, bis ich mich endlich in der nächsten Ortschaft wiederfand. Dort habe ich dann, in Ermangelung des Anblicks einer Kirche, in einer Kneipe nachgefragt. Sehr hilfsbereit haben sich die Leute dort nicht gegeben. Und nach 15 Minuten tauchte die Polizei mit drei, vier Mann auf und wollte meinen Ausweis sehen. Den haben sie dann erstmal 15 Minuten lang überprüft…

Den Pilgerbrief habe ich ihnen auch zu lesen gegeben. Und das zeigte letztlich positive Wirkung: Einer der Polizisten begleitete mich etwa einen Kilometer zur evangelischen Kirche (ohne Kopfbedeckung, die Haare raspelkurz; nach der Hälfte der Strecke begann er, sich die roten Ohren zu halten), während die anderen mit dem Auto zum Pfarrhaus fuhren und meine Ankunft vorbereiteten. Leider nicht ganz so, wie ich mir das gewünscht hatte: Meinen Ansatz, den Pfarrer mit Handschlag zu begrüßen, ignorierte der, und er erklährte mir auch bald, ich könne nicht im Pfarrhaus schlafen. Er beschrieb mir “eine Stelle, wo für Menschen, die nicht wissen, wo sie schlafen sollen, ein Raum vorbereitet” sei. Ob ich einverstanden sei, dorthin zu gehen. Ich versicherte, dass ich als Pilger keine Wahl hätte und natürlich dort schlafen könne. Das führte zum nächsten Angebot, dem Gemeinderaum: der sei zwar viel zu kalt, er wolle aber jemanden anrufen, der die Heizung andrehen werde. Doch auch dabei blieb es nicht (ob den Pfarrer wohl etwas warnte, wie weiland den Dr. Fausten, dass er dabei nicht bleibe?): Schließlich wurde ich in eine Art Jugendherberge gebracht. Warm, mit Dusche, leider mit defektem W-Lan. Und mit zwei jungen Fußballern, die noch einige Zeit recht laut vor dem Fernseher zubrachten.

Am Morgen, als ich gerade meine Stiefel anziehen wollte, um im Pfarrhaus nach einem Tee zu fragen, kam der Pastor mit fünf aufgetauten Brötchen und je einer kleinen Packung Salamischeiben und Scheiblettenkäse. Belegen sollte ich die selbst; er stand dabei. Beziehungsweise: er kümmerte sich vergeblich um das W-Lan, nachdem ich ihn um eine Minute Hotspot seines Handys gebeten hatte, um meine Navigation starten zu können.

Das W-Lan bekam ich dann in der örtlichen Bibliothek.

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