Bloggen

…am 8.12.2016. Da sitze ich hier also am Tisch in der CVJM-Küche bei Kaffee und uraltem Hefekuchen mit Rhabarberstückchen drin, habe mein Gebet gesprochen und versucht, das gesungene Glaubensbekenntnis aus dem Evangelischen Gesangbuch lückenlos zu erinnern, mit allen Strophen. Ich habe mir die Tränen abgewischt, die mir bei diesem Lied immer herunterlaufen, wenn ich sie nicht unterdrücke (wofür es hier ja keinen Grund gibt – ich bin mutterseelenallein), und habe mir mein Handy geschnappt, auf dem ich ja seit einigen Tagen “blogge”. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass es allerhöchste Zeit ist, mir über dieses Bloggen ein paar Gedanken mehr zu machen, als ich das bislang getan habe. Und auch Zeit, meine Leser von den Gedanken in Kenntnis zu setzen, mit denen ich in Bezug auf das Bloggen schon umgegangen bin, die ich aber noch nicht veröffentlicht habe.

    Eine höchst merkwürdige Sache, dieses Bloggen: Da schreibt man seine Erlebnisse auf, seine Gedanken und Gefühle, und schließt sie nicht etwa in einem Tagebuch weg, sondern veröffentlicht sie im Internet. Es kann sie jeder lesen. Fast niemand tut das in meinem Fall bisher – Gott sei Dank, könnte ich sagen. Und muss mich gleich hinterher fragen: warum machst du denn dann so etwas überhaupt?!
    Nun, könnte ich mir selbst antworten: Ich versuche auf diese Weise, meine Gedanken zu ordnen, mir Rechenschaft abzulegen über dies und das, und ich möchte die mir Nahestehenden teilhaben lassen an dem, was ich erlebe.

    Aha. Und ist das wirklich die passende Form? Wäre es da nicht besser, einerseits Tagebuch zu schreiben und andererseits persönliche Mails zu verschicken? Immerhin könnte ich in einem Tagebuch noch persönlicher und intimer mit mir selbst, meinen Mitmenschen und Gott sein, und die Mails, die ich verschicken könnte, wären selbst dann noch sehr viel mehr mit den Gedanken beim Empfänger verfasst, wenn ich sie als eine Art Rundmail gleich an mehrere Leute schicken würde. Auch wären die Empfänger der Mails zwar nicht gezwungen, aber doch aufgefordert, zu antworten; ich würde also entweder ganz direkt erfahren, was sie denken über mich und meine schriftlichen Ausführungen, weil ich Antwort bekäme – oder ich bekäme keine Antwort und könnte mir also denken, dass ich meine Leser gelangweilt, auf dem falschen Fuß erwischt, überfordert habe. Und wüsste immerhin: “So goots edde! David, du musst dir Gedanken darüber machen, was du wem wie schreibst!”

    Anders beim Bloggen. Da schreibe ich völlig undifferenziert, frisch vo der Leber weg, einfach so. Für mich, für meine Familie, meine Freunde, aber auch für meine Gegner und vielleicht Feinde, für Menschen, die mich nicht kennen und auch solche, die ich nie kennenlernen werde. Und ich habe keine Ahnung, wie das ankommt, was ich hier in den Bildschirm tippe. 

    Es ist eine Art Nicht-Kommunikation. Ich sehe weder die Gesichter derer, die meine Beiträge lesen, noch kann ich ihre Körpersprache wahrnehmen oder ihre Stimme hören – geschweige denn, mit dem einen oder der anderen in Körperkontakt treten.

      Selbst, wenn ich draußen laut mit mir selbst redend oder singend herum liefe, hätte das mehr kommunikative Elemente an sich, als das Bloggen: Ich könnte immerhin beobachten, ob die Menschen den Kopf schütteln, ob sie verständnisvoll oder eher herablassend lächeln oder genervt zu mir herschauen, ob sie im Gegenteil unauffällig wegzusehen bestrebt sind oder die Straßenseite wechseln. Beim Bloggen hab ich von alledem: nichts (bis auf den einen oder anderen Kommentar).
      Kurzum: das Bloggen hat etwas autistisches. Und es hat Elemente des Exhibitionistischen: ich eröffne Menschen den Blick auf ganz Persönliches, man kann sagen: Intimes (siehe den Beginn dieser Ausführungen, und nicht nur den Beginn!), und zwar ohne dass die danach gefragt oder ihr Interesse daran bekundet hätten. 

      Ok: es ist niemand gezwungen, meine Texte zu lesen. Trotzdem bleibt für mich der Eindruck: Dieses Bloggen hat etwas mindestens Unnatürliches, vielleicht sogar: Unanständiges an sich. 

      Dass ich es trotzden tue, könnte allerdings auf beinahe listige Weise dann doch auch wieder eine gewisse Berechtigung haben:

        Ich versuche ja seit geraumer Zeit, Widersprüche, so sie vorhanden sind, nicht einfach auszublenden oder wegzudiskutieren, sondern mich ihnen zu stellen, sie auszuhalten und auch nach außen zu ihnen zu stehen. Das bedingt einen hohen Grad an Offenheit (in gleich mehrerer Hinsicht!). Und es fördert gleichzeitig noch diese Offenheit.

        Und Offenheit ist aus meiner Sicht etwas, von dem die Menschheit (sic!) in der heutigen Zeit kaum genug bekommen kann. Also könnte es gut und richtig sein, wenn ich mich persönlich weiter darum bemühe. Auch – und vielleicht gerade! – als Blogger.

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