Nun beten sie wieder

Rückblende:

Es war ziemlich genau 21 Jahren. Ich kümmerte mich um meine älteste Tochter; zunächst in einem kleinen Ferienappartement auf der schwäbischen Alb, dann im Haus meiner Freundin und ihrer Familie in Tübingen. Meine Tochter, die vielleicht Intelligenteste unter fünf klugen Geschwistern, war elf Jahre alt, und es ging ihr sehr schlecht: Die Trennung ihrer Eltern machte ihr existentiell zu schaffen.

Auch Menschen, die mir nahestehen, nahmen Anteil: 

Sie machten sich große Sorgen um mich. Sie versuchten, mich zur Vernunft zu bringen: Ich müsse meine Tochter in der Klinik behandeln lassen, das sei der einzige Ort, an dem ihr professionell geholfen werden könne – und ich selbst könne mich dann weiter auf meine Prüfung vorbereiten. Die sei doch für mein weiteres Leben ungeheuer wichtig.

Nein, nicht, dass ihr jetzt denkt, es wäre um so etwas wie eine Promotion, eine Habilitation, wenigstens ein Staatsexamen oder ein Diplom gegangen. Es ging um eine Meisterprüfung.

Ich spürte zu diesem Zeitpunkt ganz deutlich: Jetzt entscheidet sich das Leben meiner Tochter. Für mich stand fest: Die Meisterprüfung werde ich so oder so schaffen, und selbst, wenn sie “den Bach hinunter” ginge, wäre das absolut bedeutungslos im Vergleich zu dem, was sonst auf dem Spiel stand.

Die Menschen, die es gut mit mir meinen, haben sich weiter die größten Sorgen um mich gemacht und für mich intensiv gebetet. Ganz konkret. Nicht einfach nur, dass das Richtige, das Beste geschehe. Sondern, dass meine Tochter in die Klinik komme und ich meine Prüfung schaffen möge.

Und so geschah es. 

Ich habe eine gute Meisterprüfung gemacht. Meine Tochter wurde in der Klinik behandelt.

Ein wesentlicher beruflicher Fortschritt hat sich aus meinem Meisterbrief nie ergeben. Meine Tochter hat den Kontakt zum Menschlich-Geistigen, zum Guten vollkommen verloren. Im Abstand weniger Jahre ist sie immer wieder in der Klinik, monatelang. Dazwischen arbeitet sie bei einer Leiharbeitsfirma, im Dreischichtbetrieb, de facto im Akkord, für den Mindestlohn. Interessiert an Essen, Trinken, Fernsehen, Handy. Ein menschliches Wrack, unzugänglich für ihre Mutter, ihre Geschwister, mich.

Zurück in die Gegenwart! 

Ich bin mitten in der Türkei, noch ein paar hundert Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Der Versuch, mit dieser Pilgerreise meinem Leben eine Wende zu geben, könnte in eine entscheidende Phase treten.

Menschen, die mir nahestehen und es gut mit mir meinen, machen sich große Sorgen um mich.

Sie beten für mich. Sie beten nicht einfach nur um Gottes Schutz und dafür, dass eine ungetrübte Intuition und ein klarer Kopf mich auch durch Syrien geleiten möchten. 

Sie beten dafür, dass ich Syrien nie erreichen möge.

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3 Kommentare zu Nun beten sie wieder

  1. Till sagt:

    Hallo David,
    für den Fall, dass ich mich angesprochen fühlen sollte, sei dir versichert: nichts läge mir ferner, als dafür zu beten, dass du Syrien nie erreichen mögest. Mir ist doch längst klar, dass diese Reise für dich lebenswichtig ist, und du alles daran setzen wirst, Jerusalem zu erreichen. Dafür hast du meinen tiefen Respekt. Wenn ich beten würde, dann eben genau dafür, dass diese Reise gut werde für dich, dass sie letztlich richtig ist für dich, und zwar unabhängig davon, wie und wo sie äußerlich enden wird, also: egal, ob du vielleicht nicht nach Syrien reinkommst oder vom Libanon aus nicht nach Israel, egal, ob du wegen Erschöpfung oder Krankheit vorzeitig aufgeben musst oder dir Schlimmeres zustößt (was ich dir alles bei Gott nicht wünsche!) oder du dein äußeres Ziel erreichst. Ich wünsch dir also, dass sie dich genau so in deinem Leben weiterbringt, wie du dir das erhoffst!
    Warum ich dich dennoch nicht zu diesem Trip ermuntern oder ermutigen kann, hab ich versucht, in meinem letzten Kommentar zu erklären. Aber das heißt doch nicht, dass ich dich davon abhalten will!!!
    Ach ja, und neben einem klaren Kopf wünsch ich dir Milde, Güte, Liebe im Herzen.

    • David sagt:

      Lieber Till!

      Lass mich versuchen, als Anwort auf deine beiden letzten Kommentare einige Überlegungen einfließen zu lassen, von denen ich vielleicht zu Unrecht angenommen habe, sie seien dir geläufig.

      Die Wirksamkeit von Gebeten – da sind wir uns vielleicht einig – ist immer wieder wissenschaftlich untersucht und bestätigt worden. Für mich sind Gebete eine Art Verstärkung und Formalisierung dessen, was auch dann schon eintritt, wenn wir einen Gedanken nur denken, ohne ihn in diese äußere, religiöse Form zu gießen.

      Ich beschäftige mich seit geraumer Zeit mit der Frage, wie es zu verstehen sei, wenn gesagt wird: Gedanken sind Realitäten.
      Das mag zunächst wie Unfug klingen: Sie sind ja eben gerade noch keine Realität, sondern nur Gedanken!? Nun, zum Einen ist es Realität, dass sie gedacht werden. Das ist aber noch längst nicht alles: Man kann immer wieder beobachten, dass sie eine konkrete Veränderung der äußeren Realität nach sich ziehen. Und zwar unabhängig von dem, was wir gewohnt sind (das wäre: Es entsteht eine Idee, daraus wird ein Plan, und der wird umgesetzt). Nein: Es gibt eine Gedankenwirkung, die viel direkter und unmittelbarer greift.
      Man kann das nicht nur äußerlich beobachten. Man kann es ganz direkt spüren. Man kann fühlen, wie die eigenen Gedanken auf die Mitmenschen wirken, und man kann die Wirkung der Gedanken seiner Mitmenschen auf sich selbst erspüren, erlauschen, erfahren.

      Nötig ist dazu nicht allzu viel: Das Wichtigste ist wohl, sich von dem gewohnten “Das kann doch gar nicht sein!” zu lösen und unbefangen hinzuspüren. Eine grundsätzliche Offenheit, eine Bereitschaft, das eigene Innere zum Schweigen und zum Lauschen zu bringen, ist wohl auch vonnöten. Etwas Übung braucht man.

      Und (das mag das größte Hindernis für die Verbreitung einer Erkenntnis von der Wirksamkeit der Gedanken sein): Man braucht die Bereitschaft, sich der ganz neuen Verantwortung zu stellen, die diese Erkenntnis zwingend nach sich zieht. – Fehlt diese Bereitschaft, wird die jedem Menschen eigene “innere Selbstverteidigungs-Streitmacht” sofort alle verfügbaren “Abfangjäger” aufsteigen lassen, wenn sie mit ihrer “Radaranlage” die Gefahr der sich nähernden Verantwortung ausgemacht hat, und wird die am Horizont heraufziehende Erkenntnis zusammen mit der möglicherweise erdrückenden Verantwortung, die sie mit sich zu bringen droht, in Grund und Boden schießen lassen…

  2. de Oliveira Gloria sagt:

    Gruene Licht fuer ein Pilgern durch Syrien habe ich ab dem Moment gesehen,als ich die Uebersetzung des Pilgerbriefes erhielt.
    Moege er dich geleiten.

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